Montag, 21. November 2011

Die USA - the elephant in the room

"The elephant in the room" ist im Englischen ein unausgesprochenes aber gleichsam dominantes Thema einer Diskussion, dessen Thematisierung heikel und unangenehm ist. In der Diskussion über Ethik in Auslandsadoptionen sind die USA ein solches Thema: sie definieren aufgrund ihrer zahlenmäßigen Dominanz das Geschehen und setzen damit Standards, an denen andere kaum vorbei kommen. Gleichzeitig sind diese Standards jedoch gleich mehrfach ethisch fragwürdig und problematisch. Die Folge davon ist ein polarisierter Diskurs über Adoptionen in den USA sowie eine umsatzorientierte Adoptionsindustrie, die von einem Herkunftsland zum nächsten zieht.

Die USA sind ein ausgesprochen adoptionsfreudiges Land. Nicht nur Hollywoodgrößen adoptieren regelmäßig Kinder sondern auch in der Bevölkerung sind Adoptionen weit verbreitet. Jährlich werden ca. 100.000 Kinder in den USA adoptiert, davon weniger als 15% aus dem Ausland. Es werden sowohl Kinder aus dem Ausland adoptiert als auch ins Ausland vermittelt. Schwangere können im Vorfeld die Adoption ihrer Kinder arrangieren und sich die potentiellen Adoptiveltern aussuchen. Private Adoptionen über Rechtsanwälte sind möglich, die ihre eigenen Sozialarbeiter für Sozialberichte beschäftigen und damit eine staatliche Kontrolle komplett umgehen. Die Kosten für Adoptionen reflektieren das Angebot und Nachfrage: die Adoption eines afro-amerikanischen Jungen ist signifikant billiger als die Adoption eines hellhäutigen Mädchens. Der Adoptionsdiskurs wird von evangelikalen Kirchen dominiert, die im Geiste der christlichen Familienideologie die Abgabe von Babies zur Adoption als lobenswerte Entscheidung junger Frauen betrachtet. Gleichzeitig gibt es in einzelnen Bundesstaaten nach wie vor die Inkognitoadoption und für diese Adoptierte kein Recht auf die Kenntnis der eigenen Abstammung, obwohl erwachsene Adoptierte vehement für dieses Recht eintreten.

Die Mischung aus religiösem Eifer, schwachen individuellen Rechten Adoptierter und einer vorbehaltlosen Freude daran Familien neu zusammenzusetzen, führt auch in den USA zu heftiger Kritik. Zahllose Blogs erwachsener Adoptierter und abgebener Mütter ereifern sich tagtäglich über das Unrecht, das ihnen widerfuhr und ziehen gegen die Adoptionsindustrie und deren Interessen mit recht geringem Erfolg zu Felde.

Warum ist dieser Umgang für die Diskussion über Ethik in Auslandsadoptionen relevant? Auch in den USA übersteigt die Nachfrage nach Kindern das Angebot. Insbesondere ist es für viele Amerikaner attraktiver, afrikanische, lateinamerikanische und chinesische Kinder zu adoptieren als afro-amerikanische. Kombiniert mit dem ideologischen Gerüst, durch Adoptionen Kinder in der Dritten Welt vor dem sicheren Tod oder zumindest einem Leben auf der Straße zu retten, ziehen Adoptionsagenturen in arme Länder und bauen dort ihre Vermittlungsstrukturen auf. Einmal dort angekommen belassen sie es jedoch nicht bei der Vermittlung tatsächlich elternloser Kinder sondern übertragen ihren Ansatz der bereits vorstrukturierten Übergabe von Babies von jungen unverheirateten Müttern an amerikanische Familien in diese Länder, ohne es mit den tatsächlichen Verhältnissen zu genau zu nehmen. Die amerikanischen Botschaften sind zumindest implizit in diese Praktiken verwickelt, da sie bereit sind, selbst grob fehlerhafte Dokumente durch weitere Nachforschungen zu korrigieren.

Eine solche Welle ist in den letzten zehn Jahren auch über Äthiopien hinweg gerollt. Dort sind die Adoptionen in die USA von 42 im Jahr 1999 auf über 2500 im Jahr 2010 explodiert. Ähnliche Prozesse vollzogen sich zuvor schon in Russland, China und Guatemala. Diese drei Länder haben jedoch mittlerweile auf die amerikanische Adoptionsindustrie reagiert. Insgesamt führte dies zu einem Rückgang internationaler Adoptionen um 60% in den letzten fünf Jahren, da zunehmend die Senderländer die Möglichkeit zur Adoption einschränkten. Äthiopien hat in diesem Jahr genau den gleichen Weg beschritten, als es die Zahl der Adoptionen beschnitt. Im Jahr 2011 gibt es daher lediglich 1727 Adoptionen aus Äthiopien in die USA.

Die Reduktion der Adoptionszahlen in Äthiopien war ein richtiger und wichtiger Schritt, um Verwaltungsstrukturen nicht weiter zu überlasten und ein rechtmäßiges Adoptionsverfahren zumindest theoretisch zu ermöglichen. Langfristig wichtiger ist es jedoch, den in den USA herrschenden Adoptionsdiskurs in neue Bahnen zu lenken. Internationale Adoptionen ohne Rücksicht auf die Rechte von Eltern und Kindern sind kein Menschenrecht in einer neuen Weltgesellschaft, auch wenn es hochangesehene Wissenschaftler in Harvard so proklamieren. Nur im Kontext ethischer Verfahren, die auf den Prinzipien der Notwendigkeit, Wahrhaftigkeit und Legalität beruhen, machen internationale Adoptionen überhaupt Sinn. Diese Argumente und Normen müssen allen internationalen Verträgen zur Adoption und Adoptionspraktiken unterliegen.

Aus deutscher Perspektive ist es natürlich fast unmöglich, den Diskurs in Amerika zu beeinflussen. Auch läuft hier nicht alles optimal. Allerdings gibt es weder den religiösen Eifer noch eine offene Beschaffungsmentalität. Dafür geht man in den USA transparenter mit den Problemen um. Letztlich kann Europa/Deutschland nur mit gutem Beispiel vorangehen, seine eigenen Fehler korrigieren und sich von den amerikanischen Praktiken deutlich distanzieren.

5 Kommentare:

  1. Dennoch wäre es fatal, die Diskussion in den USA nicht zu berücksichtigen, denn so lange die deutschen Agenturen aus den gleichen einheimischen Institutionen vermitteln wie die amerikanischen, tragen sie an den Konsequenzen von deren Praktiken mit, ob sie diese gewollt oder verursacht haben oder nicht.
    Wie die diesbezüglichen Verflechtungen aussehen, zeigt für das Beispiel Äthiopiens der Blick auf REFORM TALK.

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  2. Nochmal zur Erinnerung:
    Kinder in Not Wedemark ist zu.
    ICCO ist geschlossen worden. Wegen Kinderhandel.
    EfA steht stark in der Kritik.
    Partnerheim Gelgela, Enat Alem ist zu. Frau Kokobe wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt usw. Help a child hat auch schon seine Probleme gehabt
    http://www.bbc.co.uk/news/world-africa-10766241?print=true
    Der Partner von EVAP - Abba war in illegale Adoption verwickelt.
    http://www.iol.co.za/news/south-africa/safe-in-dad-s-arms-again-1.428629
    Neben den Problemen die EVAP mit Äthiopien hat
    Pro Infante ist zu- hat keine Lizenz mehr bekommen nach klaren Berichten von Kinderhandel.
    www.adoptionsopfer.de
    ISD hat mit wegen Kinderhandels verurteilten Partnern gearbeitet. etc.
    Es ist zu einfach zu sagen- in Deutschland läuft alles besser. Hier scheint es sich tatsächlich um den "Elephant in the Living Room" zu handeln.

    Gruss Arun

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  3. Wo und bei wem steht efa aktuell in der Kritik?

    Das Gelgelaheim ist seit längerer Zeit nicht mehr Partnerheim von efa, dass Heime im Süden (auch das Enat Alem Heim im Süden) Äthiopiens die Lizenz verlieren liegt an Überprüfungen der Regionalregierungen, die Heime haben keine langfristigen Plätze für Kinder gehabt. Sobald dies geändert wird, können sie ihre Lizenz wieder beantragen.

    Die Änderungen in Äthiopien und die Möglichkeit, dass Eltern ihre Kinder für eine Zeit in ein Heim geben können und diese Kinder eben NICHT adoptiert werden können, sind doch erste gute Ansätze!?

    Welche Probleme hat evap mit Äthiopien?

    Auch Help hat schon Probleme gehabt....

    Ja, aber einzelne Probleme müssen auch nicht heißen, dass alles schlecht läuft. Es heißt auch nicht, dass in Deutschland alles gut läuft, aber immer mal einzelne Fälle nennen beweist noch kein insgesamt schlechtes System.

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  4. Ach ja - die "alten Bekannten" der Rechtfertigung:

    1. Einige schlechte Äpfel verderben doch nicht die ganze Ernte!

    2. Meine Agentur ist einwandfrei (weil es meine ist, und ich ihr vertraue) und

    3. Wenn sie aber doch einen Fehler gemacht hat- andere sind auch nicht besser.

    So lange es keine Zahlen darüber gibt, wie viele Kinder durch EFA mit nicht einwandfreien Papieren vermittelt wurden (Zahlen, die natürlich die "gläubigen" Eltern nicht hören wollen, weil dann Nr. 2 nicht mehr uneingeschränkt bejaht werden könnte), so lange die offiziellen, mit der Überwachung betrauten Stellen darüber keine Statistiken veröffentlichen (Statistiken, die unter anderem auch zeigen würden, dass sie nicht in jedem Fall einwandfrei gearbeitet haben), so lange würde ich jedem abraten, die Hand für EFA ins Feuer zu legen, sondern vielleicht einmal auch eine kritische Frage zu stellen:

    Die Zusammenarbeit mit Gelgala mag eingestellt sein; aber wie verhält es sich mit den jetzigen Vertragsheimen? Könnte es sein, dass diese - rein zufällig natürlich - unter Umständen auch, wie zuvor Gelgala, hauptsächlich an die amerikanische Agentur CWA Kinder weitervermitteln? (Wer sich solche schrecklichen Sachen nicht anschaut, weil er sie sowieso für Propaganda von böswilligen Adoptionsgegnern hält - das war die amerikanische Agentur aus dem Film "Fly Away Children".)

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  5. nein, ich hab Fragen gestellt, auf die ich gern sachliche Antworten hätte - es bleibt doch immer so, die Aruns dieser Welt bringen die einen Argumente und wenn man Belege möchte, dann heißt es "ach ja, die Rechtfertiger kommen..."

    Und immer die gleichen (alten) "Beweise" vorzulegen läuft doch über die gleiche Schiene "ach da kommen die Gegner..."

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