Samstag, 19. November 2011

Vertraute Fremdheit - Buchtipp

Die Stimmen von Adoptierten sind im Adoptionsgeschehen meistens unterbelichtet. Die wenigsten Kinder werden gefragt, ob sie adoptiert werden wollen und viele erwachsene Adoptierte glauben, dass der Adoptionsprozess nicht in ihrem Interesse erfolgt. Vielmehr sind es beteiligte Erwachsene, die das Geschehen bestimmen: Familienangehörige, die junge Frauen zur Abgabe ihrer Kinder drängen; Adoptiveltern, die sich gerne zur Verfügung stellen; Jugendämter, die eine Lösung für instabilie Familienkonstellationen suchen.

Eric Breitinger hat als erwachsener Adoptierter die Stimmen von anderen Adoptierten aufgeschrieben und sie mit viel Sachverstand mit Forschungsergebnissen und Informationen zum Thema Adoption kombiniert. Das Buch enthält 16 Porträts schweizer und deutscher erwachsener Adoptierter in fast allen Altersgruppen. Die Lebensgeschichten drehen sich um Wurzelsuche, das Verhältnis zu den Adoptiveltern und den leiblichen Familien, die psychische und mentale Belastung durch die Unwissenheit der Herkunft und des Verlassenwerdens. Dazu gibt es sachkundige Kapitel zu Babyklappen, Samenspenden, Rechtsfragen und Auslandsadoptionen.

Als roter Faden zieht sich durch das Buch das Plädoyer zur offenen Adoption. Breitinger spricht sich sowohl gegen Inkognitoadoptionen, anonyme Samenspenden als auch Babyklappen aus. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Herkunft und der offene Umgang mit der ersten Familie sind zentrale Faktoren für eine gelungene Adoption.

Vertraute Fremdheit: Adoptierte erzählen

Damit halten Adoptiveltern den Schlüssel für Erfolg in der Hand: Sind sie stabil, offen und entspannt gegenüber der Bedeutung der leiblichen Familie, sind sie von Beginn an ehrlich und konstruktiv im Umgang mit der ersten Familie und sehen sie in ihrem adoptierten Kind nicht den Ersatz für ein leibliches Kind, sind wesentliche Weichen schon gestellt.

Deutlich wird dies auch durch die unterschiedlichen Generationen, die im Buch porträtiert werden. Die Adoptiveltern der 84jährigen Nelly Bünzli haben sie mit strikten Regeln und harter Arbeit traktiert, da sie dachten, dass Mädchen würde ansonsten auf der Straße landen. Der 25jährige Jonas Fuchs peruanischer Herkunft ist Adoptivsohn einer wiederum aus Hongkong nach Deutschland adoptierten Frau, die in einem offenen und liberalen Haushalt einer Pfarrersfamilie groß wurde. Er hat regen Kontakt mit seiner leiblichen Familie. Die deutlichen Unterschiede zwischen den Generationen zeigen, dass Fortschritte im Umgang mit Adoptionen erzielt wurden und die jüngere Generationen der Adoptierten deutlich bessere Chancen zur Wurzelsuche und positiven Kontaktaufnahme haben.

Allerding werden diese Fortschritte gleichzeitig wieder durch neue Formen der Anonymität (Samenspende, Leihmutterschaft und Babyklappen) gefährdet. Sie sind zudem noch nicht überall gleichermaßen verbreitet und finden leider auch noch keine Entsprechung in den rechtlichen Regelungen. 
  

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