Montag, 23. Januar 2012

Verlassen aus Armut

Es ist mittlerweile bekannt, dass nur ein Bruchteil der verlassenen Kinder in Äthiopien tatsächlich Waisen sind. Die Mehrheit der Kinder, die nach UNICEF Kriterien als Waisen gezählt werden, sind Halbwaisen mit einem lebenden Elternteil. Die hohe Zahl der Halbwaisen heizt die Diskussion über internationale Adoptionen an und suggeriert einen weitaus höheren Bedarf an Adoptionen als tatsächlich besteht.

In Äthiopien kommt hinzu, dass Kinder von ihren Eltern verlassen werden, weil sie zu arm sind, um weiter für sie zu sorgen. Junge, mittellose Frauen werden von ihren Partnern verlassen, weil sie schwanger sind. In manchen Fällen stirbt ein Elternteil und die zurückbleibende Familie kann sich nicht ausreichend ernähren. Oder der verbliebene Elternteil heiratet neu und der neue Partner lehnt die Kinder aus der ersten Ehe ab. Diese Kinder sind besonders der Gefahr ausgesetzt verlassen zu werden; insbesondere wenn Kinderheime sich aktiv um diese Kinder bemühen.

In diesen Fällen besteht ein besonderes ethisches Dilemma der Adoption. Das Verlassenwerden des Kindes hätte mit einer geringen Unterstützung an den überlebenden Elternteil - meistens die Mutter - verhindert werden können. Es fehlt nicht an der Bereitschaft für das Kind zu sorgen sondern an den Mitteln. Sollen diese Kinder wirklich ins Ausland vermittelt werden? Oder sollten sie nicht andere Hilfe erfahren, die es erlaubt mit ihrer ersten Familie in Kontakt zu bleiben? Welche andere Hilfen gibt es für alleinstehende Mütter und Väter?

Diese Fragen sind schwer zu entscheiden. Sie lasten auch auf der Adoptivfamilie, die später einmal die Frage beantworten muss, ob es nicht auch andere Wege gegeben hätte, die erste Familie zusammenzuhalten. Insbesondere das leichtfertige "Einsammeln" von Kindern in den Dörfern Südäthiopiens mit dem Versprechen einer besseren Zukunft, wie es in dem Film "Fly away Children" dargestellt wurde, ist ein nicht zu entschuldigender und unnötiger Eingriff in das Leben der Kinder. Wenn Eltern noch leben, stellen sich höhere Anforderungen an das Adoptionsbedürfnis der Kinder als bei Vollwaisen. Als Grundregel muss gelten, dass eine Adoption nicht allein aus dem Grund der Armut der Familie erfolgen darf. Vermittlungsstellen, Kinderschutzorganisationen und UNICEF müssen zusammenarbeiten, damit funktionierende aber arme Familien zusammenbleiben können. Adoption muss das letzte Mittel des Kinderschutzes zur Verhinderung von Heimaufenthalten bleiben und ist kein Instrument der Armutsbekämpfung. 

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