Mittwoch, 23. Januar 2013

Aus erster Hand: offener Leserbrief an die ZEIT


Professor Dr. Carola Frege
London School of Economics and
Political Science

Die ZEIT Dossier Redaktion
Herr Greiner und Herr Mangold

Hamburg

18/1/2013

Betr.: Die Zeit, 17.1.2013, Dossier, “Zensierte Kinderbücher”

Sehr geehrter Herr Greiner, Herr Mangold und die Dossier Redaktion,

Ich möchte mein zutiefstes Unbehagen über Ihren Dossier vom 17.01.2013, “Zensierte Kinderbücher”,zum Ausdruck bringen. Das wichtige Thema, Rassismus in der deutschsprachigen (Kinder)Literatur, wurde in Deutschland bislang völlig ignoriert. Ich bin froh, dass nun - dank der bekannten Aussage von Familienministerin Schröder – endlich eine Diskussion entsteht. Ich bin ermutigt von der längst überfälligen Entscheidung des Thienemann Verlages, seine klassischen Kinderbücher zu editieren und hoffe, dass viele andere Verlage folgen werden. Dies ist längst überfällig – in Amerika beispielsweise wurde dieses Thema bereits vor 50 Jahren abgehandelt.

Leider hilft uns das ZEIT Dossier hier nicht weiter: es ist weder ausgewogen noch informativ und spiegelt lediglich die vorherrschende Meinung in den deutschen Medien wieder. Ihr Dossier beginnt mit einem rassistischen Aufmacher auf der Titelseite (sollte das witzig sein? Und warum muss das N-Wort auf der ersten Seite einer renommierten deutschen Zeitung benutzt werden?) und dann melden sich vier Männer zu Wort, von denen sich drei (weiße) Männer gegen die Editierung alter Kinderbücher aussprechen und einzig Herr Mangold - als schwarzer Deutscher - eine gegensätzliche Meinung artikuliert, aber dies leider etwas zu halbherzig und zaghaft. Den drei Artikeln ist gemeinsam, dass sie nirgendwo die eigentlichen Opfer, nämlich die schwarze deutsche Kinder (ja, die gibt es!) betrachten. Die kommen überhaupt nicht vor! Es geht hier nicht nur um den Einfluss dieser Bücher auf deutsche (weiße) Kinder und Ihrem Weltbild, sondern auch und gerade auf Kinder von Minderheiten, in diesem Fall schwarze deutsche Kinder. Warum wird dies völlig ignoriert? Warum wurde nicht ein Interview mit schwarzen Kindern, deren Eltern, oder beispielsweise Mitglieder der ‘Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland’, Experten in Sachen deutscher Rassismus, geführt? Stattdessen entscheiden drei weiße Männer mittleren Alters, wie sich z.B. schwarze 6-jährige Kinder fühlen sollen, wenn in der Schule ‘Jim Knopf’ vorgelesen wird, oder ‘Pippi Langstrumpf’ oder ‘Die Kinder aus der Krachmacherstrasse’ (auch Astrid Lindgren, auch mit rassistischem Inhalt) -- oder wenn sie im Kinderhort “Wer hat Angst vorm schwarzen Mann” mitspielen müssen. Und mit welchem Recht maßen sich diese Autoren an zu behaupten, dass das alles nicht so schlimm sei (Hacke:“Der Aufstand ist lächerlich”), und dass das Belassen des Originaltextes wichtiger sei (Greiner: Kulturgut!) als das (immerhin im Grundgesetz verankerte) Recht, nicht diskriminiert zu werden. Darf das für schwarze Deutsche nicht gelten?

Im Einzelnen:

1) Artikel von Herrn Greiner “Die kleine Hexenjagd”

(i) Herr Greiner setzt sich für die ursprüngliche, wenn auch rassistische Sprache ein und widersetzt sich dem ‘Diktat der politischen Korrektheit’ — ohne allerdings dem Leser zu erklären, was an diesen ‘Tugendwächtern’ eigentlich so schlimm ist. Anscheinend genügt es im deutschen Feuilleton das gehasste Wort ‘politische Korrektheit’ nur zu erwähnen. Was hat es aber mit politischer Korrektheit zu tun, wenn man dafür eintritt, dass schwarze Kinder in Deutschland das Recht haben, nicht herabwürdigend und degradierend abgebildet zu werden (ob nun in klassischen oder zeitgenössischen Kinderbüchern– ja, auch dort finden sich rassistische Wörter - oder auf der Bühne, wie z.B. in der derzeitigen Kinderaufführung der Zauberflöte an der Deutschen Oper Berlin – es gibt leider viele Beispiele). Und warum ist politische Korrektheit in Deutschland nur o.k., wenn es um unsere jüdischen Mitbürgern geht, nicht aber um andere Minderheiten? Gerade wir Deutsche sollten doch eine Vorreiterrolle im Umgang mit Rassismus und Diskriminierung aller Couleur spielen. Genau das Gegenteil ist meist der Fall. Wir sind in dieser Beziehung ein Entwicklungsland. Und um welche ‘Zensur’ geht es hier eigentlich? Es geht doch nicht darum die Bücher zu verbieten, sondern lediglich veraltete, rassistische Wörter und Inhalte zu editieren! Nicht nur unsere Sprache wandelt sich mit der Zeit und unsere Moralvorstellungen, wie Herr Greiner zu Recht bestätigt, aber auch die gesellschaftliche Verantwortung unseren Kindern gegenüber. Ich verstehe diese ganze Aufregung nicht. Kinderbücher wurden doch schon immer besonderen Kriterien unterstellt. Sie sind eben keine Erwachsenenbücher und viele Themen wie z.B. Vergewaltigung haben in Kinderbüchern nichts zu suchen (obwohl Vergewaltigungen ja in früheren Zeiten oder anderen Kulturen akzeptiert waren). Warum sollte Rassismus zugelassen werden? Zudem, jede Generation nimmt sich doch das Recht, ihr Kulturgut neu zu interpretieren!! Das sehe ich allabendlich im Theater, wenn klassische Theaterstücke neu inszeniert werden und die Kinderbibel, die ich neulich kaufte, weist auch eine modern, kindergerechte Sprache auf. Das Problem ist doch, dass Herr Greiner die Diskussion ausschließlich von dem Standpunkt weißer deutscher Eltern und Kinder betrachtet. Obwohl Herr Mesghena erwähnt wird, wird ihm entgegen gehalten, dass deutsche (weiße?) Eltern ein Recht darauf haben, wegen Ihrer Erinnerungen (die man ihnen nicht nehmen darf!), ihre alten Kinderbücher (in der alten Fassung!) vorzulesen. Aber worum geht es denn hier genau? Geht es um deren nostalgische Erinnerungen an das N-Wort? Und wer bitte hat das “Gesetz (?) des sprachlichen Altwerdens” erfunden? Das hört sich stark nach radikalem Konservatismus und Zensur an, und erinnert mich an amerikanische Evangelisten oder extreme Muslime, die jede modernisierte Interpretation Ihrer religiösen Texte ablehnen. Und wenn wir schon von Gesetzen reden, darf ich noch einmal an unser Grundgesetz erinnern? (ii) Herr Greiner argumentiert, dass manche Übersetzungen des N-Wortes lächerlich würden, aber das kann doch bitte kein Argument sein? Ich möchte behaupten, dass jeder kluge Verleger in der Lage ist, damit geschickt umzugehen. (iii) Herr Greiner argumentiert, dass dieses sogenannte ‘Problem’ nur in den Köpfen der Erwachsenen stecken und für Kinder kein Problem darstellt – dies wird mit einer Befragung zweier Hamburger Schulklassen unterstrichen. Leider wird uns vorenthalten, wie alt diese Kinder sind und wieviele Kinder schwarz waren. Ich bezweifle, dass sie solch aufgeklärte Antworten z.B. von Vorschulkindern oder Erstklässlern hören. Zudem, die Kinder sagen doch ausdrücklich, dass sie nicht wollen, dass solche Wörter in Geschichten vorkommen – warum nehmen sie das nicht ernst? (iv) Schließlich verneint Herr Greiner, dass Worte Schaden anrichten können (Frau Schröders Zitat). Wirklich? Als Journalist ist er sich sicher der Wichtigkeit von Sprache bewusst? Natürlich können Worte Schaden anrichten. Sie können beleidigen, degradieren, entwürdigen. Vielleicht hat er das nie persönlich als weißer, heterosexueller, deutscher Mann erfahren? Frauen, Menschen mit Behinderung, oder ethnische Minderheiten können ihm da anderes erzählen. Und würde Herr Greiner es auch befürworten, wenn in einem Kinderbuch von einer ‘Judensau’geredet würde? Oder vielleicht einfacher: wenn Ihr Sohn homosexuell wäre und in der Schule anti-homosexuelle Bücher und Bilder im Umlauf wären, dann fänden Sie immer noch nicht, dass Worte verletzen können?

2) Interview mit Herrn Kasten

Ein‘Experte’ wird geladen, Herr Harmut Kasten, der aber leider – soweit aus seinem CV ersichtlich -, keine Veröffentlichung zu dem Thema Rassismus und Kinderpsychologie aufweisen kann. Herr Kasten argumentiert, dass rassistische Kinderbücher Kinder nicht zu Rassisten machen (“Von Kinderbüchern allein wird sowieso kein Menschenbild geprägt.”) Aber wo steckt seine Beweisgrundlage? Sicherlich, werden Kinder nicht nur von Kinderbüchern geprägt, das ist wohl selbstverständlich. Aber, sie werden auch durch sie geprägt! Bücher beeinflussen Kinder – warum würden wir sie Ihnen sonst vorsetzen?? Jeder würde wohl zustimmen, dass sie ein wichtiger Teil von Erziehung sind (und auch für das Vermitteln von Moralvorstellungen). Und Bücher deren Sprache, Bilder und Inhalt, bestimmte Menschen— Schwarze (oder Frauen, Juden, Muslime, Menschen mit Behinderung oder anderer sexueller Orientierung…) — entwürdigend darstellen, beeinflussen die Kinder der gesellschaftlichen Mehrheit negativ. Sie lernen nicht nur Schimpfwörter, sondern insbesondere die stereotypische Darstellung dieser Menschen kennen (z.B. bei Jim Knopf ist der Schwarze natürlich arm und ein Waise). Und viel wichtiger: diese rassistischen Texte (und Bilder) beleidigen die Kinder, die diesen Minderheiten angehören, und beeinflussen ihr Selbstwertgefühl negativ. Im Gegensatz zu Herrn Kastens Meinung ist seit langem in der amerikanischen Literatur bekannt, dass Rassismus auch durch Text und Bild entsteht und Kinder negativ beeinflussen können. Es gibt seit den 60er Jahren Studien, die sich mit sexistischen und rassistischen Stereotypen in den Medien/ Büchern befassen, und deren Einfluss auf die Entwicklung von Kindern bestätigen (z.B. Paterson, S., Lach, MA. (1990) “Gender Stereotypes in children’s books: their prevalence and influence on cognitive and affective development”, Gender & Education, vol 2:2). Ich zitiere (ibid.: p. 1): “It seemed obvious that repeated exposure to these kinds of images was likely to have detrimental effects on the development of children’s self-esteem, particularly that of girls, and on the perceptions children have of their own, and of others’ abilities and possibilities”. Der (amerikanische) ‘Council for Interracial Books for Children’ (1976:1) zeigt zudem ähnliche Wirkungen bei rassistischer Kinderliteratur auf: “Racial stereotypes reflected in children books play an active part in maintaining that existing social structures by molding future adults who will accept it”.

Ich höre immer wieder, dass man solche rassistische Textstellen und Bilder zum Anlass nehmen kann über Rassismus zu sprechen – eine Lerngelegenheit (siehe Herr Kastens Argument). Aber, bitte welche (weiße) Eltern tun denn dies? Und warum, muss ich, als Mutter eines schwarzen Kindes, von einem Kinderbuch aufgefordert werden, über die deutsche Kolonialzeit und über Rassismus im Allgemeinen und besonderen zu reden?? Mir so etwas als Lernchance vorzuschlagen ist, ehrlich gesagt, eine Unverschämtheit. Und würden Sie auch eine jüdische Mutter auffordern, Ihren kleinen Kindern den Holocaust zu erklären, nur weil Juden in einem Kinderbuch diskriminierend dargestellt werden?

3) Artikel von Herrn Hacke: “Wumbabas Vermächtnis”

Herrn Hackes Artikel scheint nicht viel mit dem eigentlichen Thema zu tun zu haben, sondern ist ein emotionaler Verriss der Kritiker seiner Bücher und spiegelt leider seine zutiefst ignorante und arrogante Sichtweise wieder. Herr Hacke hält den Kampf gegen Rassismus für wichtig, aber man nimmt es ihm nicht ab. Im Gegenteil. Er bespottet seine Kritiker und macht sich lustig. Die Kritik an seinen Büchern (oder an anderen Büchern mit rassistischen Titeln) sei eine reine ‘Zeitverschwendung’. Schade, anscheinend hat Herr Hacke als Schriftsteller nicht begriffen, dass es sich bei Rassismus nicht nur um Gewalt einer Zwickauer Zelle handelt, sondern auch um entwürdigende Sprache, Inhalt und Bilder handeln kann. Da gibt es durchaus in der deutschen Geschichte genügend Ansichtsmaterial. Wie kann er behaupten, dass die Abbildung von Wumbaba eine Karikatur sei und deshalb nicht rassistisch? Können nur Bilder aber keine Karikaturen rassistisch sein? Können nur Texte aber keine Witze rassistisch sein? Sind Judenwitze nicht antisemitisch?

Zu guter Letzt: Um was es wirklich gehen sollte, ist die Frage, ob wir es uns als moderne Kulturnation und Einwanderungsland im 21. Jahrhundert weiterhin erlauben können, die alltägliche Diskriminierung von Minderheiten in unseren Medien und Öffentlichkeit als Lappalie herab zutun und zu ignorieren. Wir sollten endlich begreifen, das Rassismus nicht nur rechtsextreme Gewalt und Antisemitismus bedeutet, sondern ganz alltäglich in der Mitte unserer Gesellschaft, unserer Medien und im öffentlichen Diskurs angesiedelt ist. Dass es Deutschland schwerer fällt - als beispielsweise Amerika oder Großbritannien - hochgebildete ausländische Fachkräfte anzuwerben, hat auch damit etwas zu tun. Das ZEIT Dossier zeigt, wieweit Deutschland leider noch entfernt ist, ein wirklich tolerantes und offenes Land für Migranten und Minderheiten zu sein.

Schade.

Hochachtungsvoll,

Carola Frege

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