Mittwoch, 5. Oktober 2011

Ethik und Ethik

Es gibt zwei sehr unterschiedliche Ethikdiskurse über Adoptionen. Der erste thematisiert die Bedingungen unter denen Adoptionen stattfinden sollen. Er definiert die Voraussetzungen für Adoptionen:
  • Notwendigkeit (kein Kind soll ohne Not von seinen Eltern getrennt werden),
  • Wahrhaftigkeit (jedes Kind hat Anspruch auf die Wahrheit seiner Abstammung) und
  • Legalität (das Verfahren der Adoption muss legal und ohne Zwang und Korruption vollzogen werden).
Nur wenn alle drei Voraussetzungen vorliegen, kann von einer ethischen Adoption gesprochen werden. Die Diskussion dreht sich dann im Wesentlichen darum, wie diese Voraussetzungen auch in Ländern mit schwachen Verwaltungsstrukturen, Armut und Korruption erfüllt werden können und was passieren sollte, wenn dies nicht geschieht. Um diese Fragen geht es im Wesentlichen in diesem Blog.

Die zweite Diskussion, die auch unter dem Titel der Ethik in Adoptionen geführt wird, dreht sich um das Verhältnis von erster und zweiter Familie und der Beziehung zum Kind. Sie wird in erster Linie von erwachsenen Adoptierten und ersten Müttern geführt, die die Sprache und Haltung von solchen Adoptiveltern heftig kritisieren, die Adoption als "Rettung von Kindern", als "Recht kinderloser Paare" oder als "Gottes Auftrag" darstellen. Dahinter verbirgt sich Respektlosigkeit und mangelndes Einfühlungsvermögen für die Situation der Kinder und Eltern, die voneinander getrennt wurden.

Diese Diskussion ist fast unmöglich zu führen, da sie von tiefen Kränkungen genährt und angetrieben wird. Sie ist polarisiert und fast ausschliesslich mit Schuldzuweisungen besetzt. Aus der Perspektive von Adoptiveltern kann man kaum darauf reagieren, da die für diese Fragen sensibilisierten Adoptiveltern nicht der Gegenstand der Kritik sind. Es gibt auch keine Lösung - außer Adoptiveltern entschuldigen sich stellvertretend für diejenigen, an deren Adresse die Kritik gerichtet ist. Damit ist jedoch auch niemandem wirklich geholfen, da sich die Einstellung der Anderen nicht ändert.

Die Vermischung beider Diskurse macht eine vernünftige Diskussion sehr schwierig. Oftmals befeuern gekränkte/traumatisierte Adoptierte einen Antiadoptionsdiskurs, der alles verteufelt, was eine Adoption rechtfertigen könnte. Das ist ihr gutes Recht, bringt aber die Debatte nicht weiter. Es geht daher in der Diskussion darum, Emotionen von Argumenten zu trennen; so schwer das den Einzelnen fallen mag. Nur dann kommen wir Lösungen näher.

1 Kommentar:

  1. Eines lässt sich ergänzend dazu sagen: Es geht -gerade im Blick auf den 'zweiten Diskurs'- nicht nur um eine öffentlich, reflektiert und abstrakt geführte Diskussion. Die geschilderten Haltungen begegnen sich auch im Alltag der Adoptivfamilien.
    Nicht erst der erwachsene Adoptierte kann diese Positionen vertreten - auch das Kind kann sie schon (ob ausgesprochen oder nicht) gegenüber den Adoptiveltern verkörpern.
    Das bedeudeutet dann: Es wird nicht nur eine allgemein geführte Debatte erschwert - auch die ganz konkrete Adoptiv-Familiensituation wird davon betroffen.

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