Sonntag, 5. Mai 2013

Die Kinderfänger

Endlich ist das neue Buch von Kathryn Joyce erschienen, auf deren Arbeiten wir in diesem Blog schon mehrfach verwiesen haben. The Child Catchers - Rescue, Trafficking, and the New Gospel of Adoption ist ein gut geschriebenes und gut recherchiertes Buch, das den Leserinnen und Lesern die Augen öffnet und leider auch die Haare zu Berge stehen lässt.

Amerikanische Evangelisten haben das Feld der Adoption für sich entdeckt und organisieren eine ganze Ideologie/Theologie um das Konstrukt der 'Waisen' und der Verantwortung von Christen für diese Waisen. Aus dem Bibelvers: "Pure religion is this, to help widows and orphans in their need" leiten sie ein Handlungsprogramm ab, das immer wieder auf die gleiche Lösung hinausläuft. Adoption ist die Antwort auf viele Probleme: ungewollte Schwangerschaften, Armut, alleinerziehende Mütter, Abtreibungen. Kirchen predigen, praktizieren und bejubeln den neuen Trend, fremde Kinder in ihre Familien aufzunehmen. Da in diesen Kreisen der Zweck die Mittel immer noch heiligt, folgt aus der Adoptionsideologie ein sehr instrumenteller Umgang mit der Frage, wer eigentlich adoptionsbedürftig ist und was aus der Herkunftsfamilie wird. Egal was die Umstände sind, Hauptsache es werden Kinder gerettet.

Kathryn Joyce verfolgt die Spuren der christlichen Adoptionsmissionare insbesondere nach Äthiopien, das in den letzten zehn Jahren zum Zentrum der internationalen Adoption wurde. Dort arbeitet sie die Skandale und Misstände nochmals von Anfang an auf. Das Kapitel Inside the Boom enthält alles, was in den letzten Jahren über Korruption in Adoptionen aus Äthiopien in die USA berichtet wurde. Leider enthält es jedoch wenig, was nicht bereits vorher schon - zum Teil von Kathryn Joyce selbst - an anderer Stelle geschrieben wurde. Ihre Recherchen in Äthiopien konzentrieren sich auf die bekannten Skandale und nur am Rande auf die Stimmen der Herkunftsfamilien und Betroffenen. Sie begleitet einen Searcher auf einer Reise in ein abgelegenes Dorf, wo ein Film über eine Herkunftsfamilie gedreht wird. Dabei stellt sie fest, wie sich die Gelegenheit ein Kind nach Amerika schicken zu können herumspricht und damit erst das Verlassen von Kindern auslöst.

Sie spricht mit Vertretern von UNICEF, die diesen Mechanismus bestätigen: erst die Gründung eines Waisenhauses produziert Waisen. Die Schließung von Kinderheimen ist daher wahrscheinlich das wirksamste Instrument der äthiopischen Regierung, um die Adoptionsindustrie einzudämmen. Ob jedoch die anderen Maßnahmen der äthiopischen Regierung wirksam sind, weiß nicht einzuschätzen. Nach einem Rückgang der Zahlen geht UNICEF davon aus, dass sie wieder auf ein hohes Niveau gestiegen sind.

Die Botschaft wird in dem Kapitel sehr deutlich: Evangelisten auf dem Adoptionspfad schaffen mehr Probleme als sie lösen. Und in der Tat, wenn man Michelle Gardner in dem Film "Fly away children" dabei zusieht, wie sie in äthiopischen Dörfern die Eltern fragt, wer gerne sein Kind nach Amerika schicken möchte, dann wird klar, dass es hier in keiner Weise um "Waisen" in irgendeinem Sinne des Wortes geht. Die explodierende Adoptionsindustrie in Äthiopien hat demnach auch wenig mit christlichen Werten oder Familien zu tun sondern mit einem Versuch dem eigenen Leben mehr Sinn zu geben, wenn vermeintlich Leben gerettet werden können.

Für Adoptionsinteressierte ist dieses Buch eine wichtige Information und zwar auch für solche, die mit der christlichen Adoptionsbewegung nichts am Hut haben. Adoptionsmissionare haben in Äthiopien die Strukturen weitgehend korrumpiert. Daran kommen auch europäische Vermittlungsstellen nicht vorbei. Und zweitens ist jenseits aller Rhetorik die Haltung der Europäer nicht so anders. Bis heute sind Vermittlungsstellen für den Wahrheitsgehalt der Dokumente der vermittelten Kinder nicht verantwortlich. Auch deutsche Vermittlungsstellen weisen eine Verantwortung für das, was im Sozialbericht über die Kinder und deren Familien steht, weit von sich. Vielmehr werden angehende Adoptiveltern mit einem Augenzwinkern zu Komplizen gemacht, da man afrikanischen Dokumenten nicht zu viel Glauben schenken sollte. Erst wenn Vermittlungsstellen diese Verantwortung übernehmen und vielleicht auch rechtlich dazu gezwungen würden, wären sie an der Wahrheit wirklich interessiert. Davon sind wir aber noch weit entfernt.   

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