Belege für diese Argumentation gibt es genügend. Babyhandel gab es in Guatemala und neuerdings in China. Kindesentführungen sind aus Indien und Nepal bekannt. Skrupellose Heimleitungen gibt es in den meisten Ländern, die Kinder ins Ausland vermitteln. Diese Art der Berichterstattung ist sinnvoll, um die Beteiligten ein wenig wach zu rütteln und ihnen zu verstehen zu geben, dass die Öffentlichkeit ein Auge auf die Praktiken hat.
Langfristig verdeckt jedoch die skandalisierende Presse mehr, als sie aufklärt. Sie mobilisiert anstatt zu informieren. Sie agitiert, indem sie den Betrug in den Vordergrund stellt und pars pro toto den Betrug zum System erklärt. Z.B. ist der Hinweis dass die Auslandsadoption eine unregulierte Industrie sei, eine beliebte aber falsche Behauptung. Jede Adoptionsanerkennung eines ausländischen Gerichts durch ein deutsches, jede Visaerteilung und Einbürgerung im Ausland adoptierter Kinder sind hochgradig regulierte Verfahren. Deutsche Gerichte lehnen Anerkennungsanträge regelmäßig ab, wenn die Verfahren nicht den deutschen analog sind und Alternativen nicht geprüft wurden. Dies schmerzt die betroffenen Familien, ist aber für Vermittlungsstellen Grund genug, die bestehende Regulierung ernster zu nehmen.
Wenn die Visastellen amerikanischer Botschaften sich bei vielen Visaanträgen "unwohl" (Graff, S. 65) fühlen, dann ist dies der Moment, an dem sie tätig werden müssen. Und im Unterschied zum Mythos der unregulierten Industrie werden amerikanische Botschaften immer wieder tätig und erkennen die Adoptionspapiere in den Visaanträgen nicht an. Im letzten Jahr strandeten 80 Familien in Nepal; zurzeit gibt es Prüfungen in Kambodscha. Notfalls werden Länder komplett geschlossen. In der Folge gibt es trotz des Mythos einer vernetzten und scheinbar profitablen Industrie mit einer machtvollen Lobby im Rücken stetig fallende Zahlen von Adoptionen und immer mehr für Adoptionen geschlossene Länder.
Auslandsadoptionen sind nicht optimal reguliert. Sie weisen zu viele Unregelmäßigkeiten und korrupte Mittelsmänner in vielen Verfahren auf. Die bestehende Regulierung über Visaerteilung und Anerkennungsverfahren von Gericht ist zu indirekt, bürokratisch und greift zu spät. Das ist unbestritten. Das Bild einer unregulierten Milliardenindustrie trifft jedoch ebensowenig zu. Es ist in einer Welt voller Skandale ein Bild, das als Gegenpart zur Idylle der Adoptivfamilie gerne porträtiert wird. Die Wahrheit ist, wie so oft, in der Mitte angesiedelt; komplex, kompliziert und weniger geeignet für eine gute Story.