Professor
Dr. Carola Frege
London
School of Economics and
Political Science
Die ZEIT
Dossier Redaktion
Herr Greiner und Herr Mangold
Hamburg
18/1/2013
Betr.: Die Zeit, 17.1.2013, Dossier, “Zensierte
Kinderbücher”
Sehr geehrter Herr Greiner, Herr Mangold und die
Dossier Redaktion,
Ich möchte mein zutiefstes Unbehagen über Ihren
Dossier vom 17.01.2013, “Zensierte Kinderbücher”,zum Ausdruck bringen. Das
wichtige Thema, Rassismus in der deutschsprachigen (Kinder)Literatur, wurde in
Deutschland bislang völlig ignoriert. Ich bin froh, dass nun - dank der
bekannten Aussage von Familienministerin Schröder – endlich eine Diskussion
entsteht. Ich bin ermutigt von der längst überfälligen Entscheidung des
Thienemann Verlages, seine klassischen Kinderbücher zu editieren und hoffe,
dass viele andere Verlage folgen werden. Dies ist längst überfällig – in
Amerika beispielsweise wurde dieses Thema bereits vor 50 Jahren abgehandelt.
Leider hilft
uns das ZEIT Dossier hier nicht weiter: es ist weder ausgewogen noch informativ
und spiegelt lediglich die vorherrschende Meinung in den deutschen Medien
wieder. Ihr Dossier beginnt mit einem rassistischen Aufmacher auf der
Titelseite (sollte das witzig sein? Und warum muss das N-Wort auf der ersten
Seite einer renommierten deutschen Zeitung benutzt werden?) und dann melden
sich vier Männer zu Wort, von denen sich drei (weiße) Männer gegen die
Editierung alter Kinderbücher aussprechen und einzig Herr Mangold - als
schwarzer Deutscher - eine gegensätzliche Meinung artikuliert, aber dies leider
etwas zu halbherzig und zaghaft. Den drei Artikeln ist gemeinsam, dass sie
nirgendwo die eigentlichen Opfer, nämlich die schwarze deutsche Kinder (ja, die
gibt es!) betrachten. Die kommen überhaupt nicht vor! Es geht hier nicht nur um
den Einfluss dieser Bücher auf deutsche (weiße) Kinder und Ihrem Weltbild,
sondern auch und gerade auf Kinder von Minderheiten, in diesem Fall schwarze
deutsche Kinder. Warum wird dies völlig ignoriert? Warum wurde nicht ein
Interview mit schwarzen Kindern, deren Eltern, oder beispielsweise Mitglieder
der ‘Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland’, Experten in Sachen
deutscher Rassismus, geführt? Stattdessen entscheiden drei weiße Männer
mittleren Alters, wie sich z.B. schwarze 6-jährige Kinder fühlen sollen, wenn
in der Schule ‘Jim Knopf’ vorgelesen wird, oder ‘Pippi Langstrumpf’ oder ‘Die
Kinder aus der Krachmacherstrasse’ (auch Astrid Lindgren, auch mit
rassistischem Inhalt) -- oder wenn sie im Kinderhort “Wer hat Angst vorm
schwarzen Mann” mitspielen müssen. Und mit welchem Recht maßen sich diese
Autoren an zu behaupten, dass das alles nicht so schlimm sei (Hacke:“Der
Aufstand ist lächerlich”), und dass das Belassen des Originaltextes wichtiger
sei (Greiner: Kulturgut!) als das (immerhin im Grundgesetz verankerte) Recht,
nicht diskriminiert zu werden. Darf das für schwarze Deutsche nicht gelten?
Im Einzelnen:
1) Artikel von Herrn Greiner “Die kleine Hexenjagd”
(i) Herr
Greiner setzt sich für die ursprüngliche, wenn auch rassistische Sprache ein
und widersetzt sich dem ‘Diktat der politischen Korrektheit’ — ohne allerdings
dem Leser zu erklären, was an diesen ‘Tugendwächtern’ eigentlich so schlimm
ist. Anscheinend genügt es im deutschen Feuilleton das gehasste Wort
‘politische Korrektheit’ nur zu erwähnen. Was hat es aber mit politischer Korrektheit
zu tun, wenn man dafür eintritt, dass schwarze Kinder in Deutschland das
Recht haben, nicht herabwürdigend und degradierend abgebildet zu werden (ob nun
in klassischen oder zeitgenössischen Kinderbüchern– ja, auch dort finden sich
rassistische Wörter - oder auf der Bühne, wie z.B. in der derzeitigen
Kinderaufführung der Zauberflöte an der Deutschen Oper Berlin – es gibt leider
viele Beispiele). Und warum ist politische Korrektheit in Deutschland nur o.k.,
wenn es um unsere jüdischen Mitbürgern geht, nicht aber um andere Minderheiten?
Gerade wir Deutsche sollten doch eine Vorreiterrolle im Umgang mit Rassismus
und Diskriminierung aller Couleur spielen. Genau das Gegenteil ist meist der
Fall. Wir sind in dieser Beziehung ein Entwicklungsland. Und um welche ‘Zensur’
geht es hier eigentlich? Es geht doch nicht darum die Bücher zu verbieten,
sondern lediglich veraltete, rassistische Wörter und Inhalte zu editieren!
Nicht nur unsere Sprache wandelt sich mit der Zeit und unsere
Moralvorstellungen, wie Herr Greiner zu Recht bestätigt, aber auch die
gesellschaftliche Verantwortung unseren Kindern gegenüber. Ich verstehe diese
ganze Aufregung nicht. Kinderbücher wurden doch schon immer besonderen
Kriterien unterstellt. Sie sind eben keine Erwachsenenbücher und viele Themen
wie z.B. Vergewaltigung haben in Kinderbüchern nichts zu suchen (obwohl
Vergewaltigungen ja in früheren Zeiten oder anderen Kulturen akzeptiert waren).
Warum sollte Rassismus zugelassen werden? Zudem, jede Generation nimmt sich
doch das Recht, ihr Kulturgut neu zu interpretieren!! Das sehe ich allabendlich
im Theater, wenn klassische Theaterstücke neu inszeniert werden und die
Kinderbibel, die ich neulich kaufte, weist auch eine modern, kindergerechte
Sprache auf. Das Problem ist doch, dass Herr Greiner die Diskussion
ausschließlich von dem Standpunkt weißer deutscher Eltern und Kinder
betrachtet. Obwohl Herr Mesghena erwähnt wird, wird ihm entgegen gehalten, dass
deutsche (weiße?) Eltern ein Recht darauf haben, wegen Ihrer Erinnerungen (die
man ihnen nicht nehmen darf!), ihre alten Kinderbücher (in der alten Fassung!)
vorzulesen. Aber worum geht es denn hier genau? Geht es um deren nostalgische
Erinnerungen an das N-Wort? Und wer bitte hat das “Gesetz (?) des sprachlichen
Altwerdens” erfunden? Das hört sich stark nach radikalem Konservatismus und
Zensur an, und erinnert mich an amerikanische Evangelisten oder extreme
Muslime, die jede modernisierte Interpretation Ihrer religiösen Texte ablehnen.
Und wenn wir schon von Gesetzen reden, darf ich noch einmal an unser
Grundgesetz erinnern? (ii) Herr Greiner argumentiert, dass manche Übersetzungen
des N-Wortes lächerlich würden, aber das kann doch bitte kein Argument sein?
Ich möchte behaupten, dass jeder kluge Verleger in der Lage ist, damit geschickt
umzugehen. (iii) Herr Greiner argumentiert, dass dieses sogenannte ‘Problem’
nur in den Köpfen der Erwachsenen stecken und für Kinder kein Problem darstellt
– dies wird mit einer Befragung zweier Hamburger Schulklassen unterstrichen.
Leider wird uns vorenthalten, wie alt diese Kinder sind und wieviele Kinder
schwarz waren. Ich bezweifle, dass sie solch aufgeklärte Antworten z.B. von
Vorschulkindern oder Erstklässlern hören. Zudem, die Kinder sagen doch
ausdrücklich, dass sie nicht wollen, dass solche Wörter in Geschichten
vorkommen – warum nehmen sie das nicht ernst? (iv) Schließlich verneint Herr
Greiner, dass Worte Schaden anrichten können (Frau Schröders Zitat). Wirklich?
Als Journalist ist er sich sicher der Wichtigkeit von Sprache bewusst?
Natürlich können Worte Schaden anrichten. Sie können beleidigen, degradieren,
entwürdigen. Vielleicht hat er das nie persönlich als weißer, heterosexueller,
deutscher Mann erfahren? Frauen, Menschen mit Behinderung, oder ethnische
Minderheiten können ihm da anderes erzählen. Und würde Herr Greiner es auch
befürworten, wenn in einem Kinderbuch von einer ‘Judensau’geredet würde? Oder
vielleicht einfacher: wenn Ihr Sohn homosexuell wäre und in der Schule
anti-homosexuelle Bücher und Bilder im Umlauf wären, dann fänden Sie immer noch
nicht, dass Worte verletzen können?
2) Interview mit Herrn Kasten
Ein‘Experte’ wird geladen, Herr Harmut Kasten, der
aber leider – soweit aus seinem CV ersichtlich -, keine Veröffentlichung zu dem
Thema Rassismus und Kinderpsychologie aufweisen kann. Herr Kasten argumentiert,
dass rassistische Kinderbücher Kinder nicht zu Rassisten machen (“Von
Kinderbüchern allein wird sowieso kein Menschenbild geprägt.”) Aber wo steckt
seine Beweisgrundlage? Sicherlich, werden Kinder nicht nur von Kinderbüchern
geprägt, das ist wohl selbstverständlich. Aber, sie werden auch durch sie
geprägt! Bücher beeinflussen Kinder – warum würden wir sie Ihnen sonst
vorsetzen?? Jeder würde wohl zustimmen, dass sie ein wichtiger Teil von
Erziehung sind (und auch für das Vermitteln von Moralvorstellungen). Und Bücher
deren Sprache, Bilder und Inhalt, bestimmte Menschen— Schwarze (oder Frauen,
Juden, Muslime, Menschen mit Behinderung oder anderer sexueller Orientierung…)
— entwürdigend darstellen, beeinflussen die Kinder der gesellschaftlichen
Mehrheit negativ. Sie lernen nicht nur Schimpfwörter, sondern insbesondere die
stereotypische Darstellung dieser Menschen kennen (z.B. bei Jim Knopf ist der
Schwarze natürlich arm und ein Waise). Und viel wichtiger: diese rassistischen Texte
(und Bilder) beleidigen die Kinder, die diesen Minderheiten angehören, und
beeinflussen ihr Selbstwertgefühl negativ. Im Gegensatz zu Herrn Kastens
Meinung ist seit langem in der amerikanischen Literatur bekannt, dass Rassismus
auch durch Text und Bild entsteht und Kinder negativ beeinflussen können. Es
gibt seit den 60er Jahren Studien, die sich mit sexistischen und rassistischen
Stereotypen in den Medien/ Büchern befassen, und deren Einfluss auf die
Entwicklung von Kindern bestätigen (z.B. Paterson, S., Lach, MA. (1990) “Gender Stereotypes in children’s books: their prevalence and
influence on cognitive and affective development”, Gender & Education, vol
2:2). Ich zitiere (ibid.: p. 1): “It seemed obvious that repeated exposure to
these kinds of images was likely to have detrimental effects on the development
of children’s self-esteem, particularly that of girls, and on the perceptions
children have of their own, and of others’ abilities and possibilities”. Der
(amerikanische) ‘Council for Interracial Books for Children’ (1976:1) zeigt
zudem ähnliche Wirkungen bei rassistischer Kinderliteratur auf: “Racial
stereotypes reflected in children books play an active part in maintaining that
existing social structures by molding future adults who will accept it”.
Ich höre immer wieder, dass man solche rassistische
Textstellen und Bilder zum Anlass nehmen kann über Rassismus zu sprechen – eine
Lerngelegenheit (siehe Herr Kastens Argument). Aber, bitte welche (weiße)
Eltern tun denn dies? Und warum, muss ich, als Mutter eines schwarzen Kindes,
von einem Kinderbuch aufgefordert werden, über die deutsche Kolonialzeit und
über Rassismus im Allgemeinen und besonderen zu reden?? Mir so etwas als
Lernchance vorzuschlagen ist, ehrlich gesagt, eine Unverschämtheit. Und würden
Sie auch eine jüdische Mutter auffordern, Ihren kleinen Kindern den Holocaust
zu erklären, nur weil Juden in einem Kinderbuch diskriminierend dargestellt
werden?
3) Artikel von Herrn Hacke: “Wumbabas Vermächtnis”
Herrn Hackes Artikel scheint nicht viel mit dem
eigentlichen Thema zu tun zu haben, sondern ist ein emotionaler Verriss der
Kritiker seiner Bücher und spiegelt leider seine zutiefst ignorante und
arrogante Sichtweise wieder. Herr Hacke hält den Kampf gegen Rassismus für
wichtig, aber man nimmt es ihm nicht ab. Im Gegenteil. Er bespottet seine
Kritiker und macht sich lustig. Die Kritik an seinen Büchern (oder an anderen
Büchern mit rassistischen Titeln) sei eine reine ‘Zeitverschwendung’. Schade,
anscheinend hat Herr Hacke als Schriftsteller nicht begriffen, dass es sich bei
Rassismus nicht nur um Gewalt einer Zwickauer Zelle handelt, sondern auch um
entwürdigende Sprache, Inhalt und Bilder handeln kann. Da gibt es durchaus in
der deutschen Geschichte genügend Ansichtsmaterial. Wie kann er behaupten, dass
die Abbildung von Wumbaba eine Karikatur sei und deshalb nicht rassistisch?
Können nur Bilder aber keine Karikaturen rassistisch sein? Können nur Texte
aber keine Witze rassistisch sein? Sind Judenwitze nicht antisemitisch?
Zu guter
Letzt: Um was es wirklich gehen sollte, ist die Frage, ob wir es uns als moderne
Kulturnation und Einwanderungsland im 21. Jahrhundert weiterhin erlauben
können, die alltägliche Diskriminierung von Minderheiten in unseren Medien und
Öffentlichkeit als Lappalie herab zutun und zu ignorieren. Wir sollten endlich
begreifen, das Rassismus nicht nur rechtsextreme Gewalt und Antisemitismus
bedeutet, sondern ganz alltäglich in der Mitte unserer Gesellschaft, unserer
Medien und im öffentlichen Diskurs angesiedelt ist. Dass es Deutschland
schwerer fällt - als beispielsweise Amerika oder Großbritannien - hochgebildete
ausländische Fachkräfte anzuwerben, hat auch damit etwas zu tun. Das ZEIT
Dossier zeigt, wieweit Deutschland leider noch entfernt ist, ein wirklich
tolerantes und offenes Land für Migranten und Minderheiten zu sein.
Schade.
Hochachtungsvoll,
Carola Frege